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Wagner Carvalho und Naê Selka de Paiva sprechen bei der Preisverleihung

©Zé de Paiva

„Sehr geehrte Kulturstaatsministerin Claudia Roth,
Sehr geehrte Jury-Mitglieder,
Sehr geehrte Kollegen*innen von Fonds Darstellende Künste,
herzlichen Dank Ihnen!

Auch dem ganzen Team vor und hinter den Kulissen: den Künstler*innen, die heute hier sind, auch den Kollegen*innen, die dort hinten sitzen: den Techniker*innen, die die Projektion, das Licht, den Sound und auch den Stream realisieren. Vielen Dank.

Ich möchte sagen, dass auch auf der anderen Seite des Atlantiks jetzt zugeschaut wird. So auch bei mir zu Hause. Viele Menschen tun dies, denn in Brasilien wird der Preis überall bekannt gegeben, überall wird geschrieben. Bei mir zu Hause, ist es meine Mutter, Donna Angelina: Hallo Mama.

Ich möchte mich bei meinen Teamkolleg*innen und Künstler*innen des Ballhauses Naunynstraße bedanken, die uns so weit gebracht haben, die in beständiger Arbeit das Ballhaus Naunynstraße als Ort der Kunst, der Diskussion, der Begegnung und des Zusammenseins aufrechterhalten und mit mir weiterentwickeln.

Ich möchte mich bei Shermin Langhoff bedanken – mit ihr fing alles an. Nur deshalb, weil dieser Anfang gemacht war, konnten wir mit unserer Arbeit beginnen und das Postmigrantische erweitern. Vor ihrem Mut, in dieser Gesellschaft zu intervenieren und neue Räume aufzustoßen, habe ich großen Respekt. Vielen Dank.

Wir sind glücklich über die Auszeichnung – über die Auszeichnung der Arbeit am Ballhaus Naunynstraße, die sich nun über mehr als ein Jahrzehnt erstreckt und sich – knapp umrissen – um Dekolonisierung und Intersektionalität, um die Sichtbarkeit von Schwarzen Menschen und People of Color, um Zugänge und gesellschaftliche Mitgestaltung, um die Erweiterung der Künste und um eine Veränderung der Gesellschaft mit Hilfe der Künste bemüht.

In einer Zeit, in der sich Teile der Gesellschaft radikalisieren, indem sie politische Parteien wählen, die das verachten, was wir sind: divers, Protagonist*innen unserer eigenen Geschichte, eigenständige Künstler*innen mit vielfältigen Perspektiven –

in einer Zeit, in der rechtsextreme Parteien, aber auch christliche Parteien, die sich in populistischem Eifer rechtsextrem positioniert haben, um bei den Wahlen in Bayern und Hessen „gut“ abzuschneiden, an Deutungsmacht gewinnen, ist dieser Theaterpreis des Bundes ein Signal.

Er ist Wertschätzung und Aufforderung: Die kulturelle Arbeit, wie sie von kleineren und mittleren Theater geleistet wird, ist für die Gesellschaft von herausregender Bedeutung – es gilt sie aufrechtzuerhalten. Denn diesen Institutionen gelingt es, aufgrund ihrer Größe eine eigene Agenda zu verfolgen, vor Ort, mit lokalen Themen, mit Beziehungen zu Künstler*innen auf Augenhöhe, mit translokalen Verknüpfungen. In ihrer so entwickelten Vielfältigkeit sind sie Ausdruck und Erprobungsbühne eines diversen, kulturellen, freiheitlichen Zusammenlebens. Diese kommunale Arbeit, die wir leisten, ist keine „freiwillige“ Aufgabe, sondern eine notwendige. Wir freuen uns als Ballhaus Naunynstraße hier neben den Kolleg*innen vom LOFFT in Leipzig, vom Theaterhaus Jena und vom Chamäleon Berlin stehen zu können, als Teil dieser so wichtigen und keinesfalls selbstverständlichen Theaterlandschaft.

Unsere Arbeit ist notwendig: Um Kolleg*innen auszubilden, zu vernetzen, Plattformen für die Erprobung von künstlerischen Sprachen und Formen zu schaffen, für die Begegnungen über gesellschaftliche Grenzziehungen hinweg, für das bereichernde Erlebnis und den Genuss.

Theater ist notwendig als Spiegel – als kulturelle Praxis, gemeinsam unser Zusammenleben zu reflektieren – und als konkreter Beitrag, eine andere Gesellschaft zu bauen: 

Naê Selka de Paiva:

Hallo, ich bin Naê. Wagner hat mich (seine jüngste Künstlerin) gebeten, diesen Preis mit ihm zusammen entgegenzunehmen.

Das Ballhaus Naunynstraße ist 2008 wiedereröffnet worden. Ich wurde ein Jahr später geboren. Schon als Baby war ich oft bei den Proben meiner Eltern dabei, mein Vater als Tänzer und meine Mutter als Beleuchterin. Als Kleinkind habe ich oft versucht, die Schritte meines Vaters nachzumachen; und manchmal hat ein Techniker meine Schwester und mich mitgenommen, um den Dachboden zu erkunden, wo ein Drache lebte. Der hat sich aber immer versteckt.

Als ich neun Jahre alt war, tanzte ich zum ersten Mal selbst im Ballhaus. In dem Stück geht es um das Verhältnis von schwarzen Kindern zu ihren weißen Großmüttern, die im Nationalsozialismus aufgewachsen sind.

Stücke wie dieses sind der Grund, warum es mich freut, dass das Ballhaus Naunynstraße diesen Preis gewonnen hat. In vielen Theatern arbeiten zwar People of Color, aber es ist nicht so wie hier. Hier treten People of Color nicht nur auf, sondern sie erzählen ihre Geschichten. Die Bühne des Ballhaus Naunynstraße bietet People of Color und queeren Menschen einen Ort, an dem sie sich selbst und ihre Perspektiven präsentieren können.

Ich hoffe, dass dieser Preis aufmerksam auf das Ballhaus Naunynstraße macht, damit mehr Leute sich dafür interessieren. Außerdem hoffe ich, dass sich dann auch mehr Menschen trauen, ihre Geschichten zu erzählen.

 

Die Ereignisse vom letzten Wochenende – global betrachtet aber auch hier in Deutschland – habe viele von uns in eine Art Schockstarre versetzt: „Man möchte sich die Decke über den Kopf ziehen“ wie es ein Teilnehmer des Berliner Kulturausschusses an diesem Montag formulierte. Aber das dürfen wir nicht, wenn wir existieren wollen.

Am Ballhaus Naunynstraße agieren rund 120 Künstler*innen mit ebenso vielen Erfahrungshintergründen und künstlerischen Sprachen. Unserer Arbeit besteht  im Wesentlichen aus einer permanenten Übersetzungstätigkeit, d.h. aus Nicht- und Missverstehen, aus Wörter-Suchen und -Erfinden, aus einem permanenten Lernen, wie die Welt aus einer anderen Perspektive aussieht und aussehen könnte – dies ist die Ausgangsbasis, der Nährboden der Kunst. Und der Demokratie.

Die Differenz ist ein Mehrwert für die Gesellschaft, sie ermöglicht erst das Theater, sie bringt die Demokratie mit ihrem Lebensgefühl – eine spezifische Angstfreiheit – hervor, sie bringt Demokratie als Emotion und Rationalität hervor.

Wir freuen uns über diese außergewöhnliche Auszeichnung unserer Arbeit, wir freuen uns, über diese heutige Zusammenkunft, in der wir – vielleicht sogar etwas diverser als bei den vorangegangenen Preisverleihungen – die kulturelle Arbeit der kleineren und mittleren Theater feiern. Beides, den Theaterpreis des Bundes wie dieses Zusammensein mit Ihnen heute Abend, verstehen wir als Motivation, unsere Arbeit fortzusetzen.

Vielen Dank.“