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Die Rede von Jessica Weisskirchen bei den Theaterpreis des Bundes 2023

©Dorothea Tuch

„Guten Abend,

Es ist eine große Ehre für mich, dass ich heute hier vor Ihnen sprechen zu dürfen und ich möchte, bevor ich die offizielle Jurybegründung verlese, ein paar persönliche Zeilen mit Ihnen teilen. Beginnen möchte ich mit einem Zitat von James Baldwin:

‚Not everything that is faced can be changed, but nothing can be changed until it is faced‘. 

Nun möchte ich keine Anekdote erzählen, sondern ein kleines Geheimnis mit Ihnen teilen: Das Geheimnis Meines Schwarzen Unbehagens

Mein Schwarzes Unbehagen.

Momente, in denen ich mein Schwarzsein spüre, sind immer verbunden mit einem düsteren, dunklen Gefühl – ich nenne dieses Gefühl liebevoll dystopisch Mein Schwarzes Unbehagen.

Wenn ich es spüre, dann werde ich Teil eines kollektiven Schmerzes, der sich so anfühlt, wie ohnmächtig sein. Ich spüre es zum Beispiel, wenn in einer politischen Talkshow ein Politiker ganz unverblümt und selbstverständlich das N Wort ausspricht. Zugleich aber spüre ich die Kraft eines kollektiven Bewusstseins – eines Schwarzen kollektiven Wissensspeichers, einer Geschichte, deren Teil ich bin. Und so verbindet mich Mein Schwarzes Unbehagen oder separiert von Menschen, Dingen und Kontexten, es befähigt oder hindert mich – aber vor allem gehört Mein Schwarzes Unbehagen mit all seinen unerzählten Geschichten mir und ich möchte es lieben lernen, als Teil meiner Identität und einer kreativen Kraft. Deshalb möchte ich, Mein Schwarzes Unbehagen beschützt, gesehen und in all seinem Facettenreichtum erzählt wissen. Denn Geschichte bedeutet Identität und nur was erzählt wird, wird zur Geschichte. Und deshalb möchte ich dem Ballhaus Naunynstraße dafür danken, dass ihr Mein Schwarzes Unbehagen behaglich macht!

„Und nun zur offiziellen Jurybegründung:“

Das Theater Ballhaus Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg hat sich die(se) Aufgabe zum Prinzip gemacht, Schwarze künstlerische Perspektiven und künstlerische Perspektiven von Persons of Color hervorzuheben. Somit bietet es seit vielen Jahren einen der wichtigsten Reflexionsräume innerhalb der deutschsprachigen Theaterlandschaft für postkoloniale Strukturen in Alltag und Kunst. 

Das Ballhaus ist eine Geburtsstätte für postkoloniale künstlerische Handschriften, Narrative und Identitätsbildung. In der Vergangenheit sowie auch zukünftig wird dieses Theater zahlreichen Schwarzen und Künstler*innen of Colour eine Plattform dafür bieten, ihre künstlerischen Visionen und Arbeiten sichtbar zu machen, die sonst innerhalb der vorherrschenden Strukturen un-sichtbar bleiben würden. Dieses Haus ist in seiner Programmatik wie ein Fanal für die Diversifizierung des bundesrepublikanischen Theaterbetriebs: Hier wurden postmigrantische Stimmen nicht nur erstmals laut vernehmbar, hier wurde der Begriff des postmigrantischen Theaters als solcher erfunden und geprägt – hier wurde der Weg eines „Practice What You Preach“ in der Entwicklung von Programm, Publikum und Personalstrukturen eingeschlagen, den der aktuelle künstlerische Leiter Wagner Pereira de Carvalho und sein Team seit nunmehr 10 Jahren konsequent in Richtung intersektionaler Diversity nicht nur auf, sondern auch hinter und vor der Bühne weiterentwickelt. Damit schafft das Ballhaus Naunynstraße einen singulären Rahmen für die selbstbestimmte Produktion von schwarzen, queeren und Künstler*innen of Color. Dabei schafft das Ballhaus ebenfalls Zugänge für junge Künstler*innen und Quereinsteiger*innen, indem es gezielt den Nachwuchs fördert und  dabei nachhaltig in der Entwicklung künstlerischer Handschriften wirkt: 

Zahlreiche Künstler*innen haben am Ballhaus Naunynstraße über die Jahre eine Vielzahl von herausragenden Arbeiten realisiert, die Ihresgleichen suchen und dabei nicht selten auch überregional, bundesweit und international mit Ihrer Kunst mehr als verdiente große und größte Beachtung gefunden.“

Jessica Weisskirchen, Mitglied der Jury des Bundestheaterpreises 2023 in der Kategorie „Stadt- und Staatstheater“, der auch Nuran David Calis, Gunnar Decker und Anna-Katharina Müller angehören.