Es ist eine zeitgenössische Überlebenstechnik: Man checkt Webseiten und Artikel, bevor man jemanden trifft, und macht sich ein Bild. Insbesondere bevor man 10.000 km fliegt, um erstmals mit einer Person zusammen zu kommen, mit der man drei Tage später öffentlich auftritt. Aber diese Praxis ist riskant. Schließlich könnte es sein, dass diese Artikel und Selbstdarstellungen für kommerzielle, weiße Kontexte geschrieben sind. Wäre dieses Bild, diese Brille, nicht verzerrend? Würde man nicht die eigentliche Begegnung verpassen?
Die Komponistin, Performerin und Videoregisseurin Isabel Gonzalez Toro und die Kulturgeografin und Sängerin Anjeline de Dios kommen erstmals am Ballhaus Naunynstraße zusammen. Unvorbereitet. Mit mehreren Jahren Erfahrung, wenn es darum geht, mit der eigenen Kunst Räume zu schaffen, offene Räume, in denen die üblichen Hierarchien des Urteilens und Verwertens für den Moment aufgehoben sind. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Sound als Praxis von dekolonialer und feministischer Kraft verstehen. Denn Sound existiert nicht allein, es ist ein gemeinsames Tun. Nur wer sich darauf einlässt, wird einschwingen – hörend und produzierend – und sich von den dominierenden, vertrauten Mustern entfernen.
Denn was hören wir eigentlich? Den Ton? Eine Frequenz? Hören wir den Körper, der den Ton erzeugt? Hören wir – im Fall Anjeline de Dios – die Familie, in der sie singen lernte? Die klassische Ausbildung? Hören wir unser eigenes Trommelfell und die Hohlform unseres Körpers? Hören wir Isabel Gonzalez Toros autodidaktischen musikalischen Ansatz? Hören wir die Gemeinschaft, in der Anjeline de Dios ihre Stimme erhebt und die durch die Beats von Isabel Gonzalez Toro Struktur bekommt? Hören wir die Community, die sie für die LatinX-Diaspora in Berlin aufbaut? Hören wir den Raum, in dem sich der Klang ausbreitet? Oder den, der durch den Klang erzeugt wird? Mit Tuning In To Resonances riskieren Anjeline de Dios und Isabel Gonzalez Toro eine Begegnung, um sich vom Klang der jeweils anderen hinaustragen zu lassen ins Unbestimmte, Offene, in das gemeinsam zu Bestimmende.
Tuning In To Resonances findet im Rahmen des Festivals Decolonial Frequencies statt, kuratiert in Zusammenarbeit mit meLê yamomo.